Vom Groben zum Feinen. Oder vom Feinen zum noch Feineren? Die Definition von "fein" und "grob" mag wohl bei jedem Reiter eine andere sein. Wie wäre es, wenn man die Definition dem Pferd überlässt, auf dem man sitzt? Kann man soviel "Macht" überhaupt abgeben oder stärkt es gar sehr, sich selbst nicht ganz so wichtig zu nehmen? Was bringen Details und wann ist es gut, die Lupe wegzulegen?
Ein kleines Beispiel zum Thema: "Die Liebe zum Detail"
Show, spektakuläre Bewegungen, seitwärts um jeden Preis. Ein Krebs zu sein ist heute in. Während ich als junge Reiterin noch vom bloßen eigenen Pferd geträumt habe, träumt man heute von Schulterherein, Travers, Renvers und möglichst beinewerfenden Traversalen. Verhaltene Grundgangarten in Pseudo-Seitengängen, Schiefe und Fehlbelastungen, fixierende Reiter, die in der Krabbelei erstarren und den erwünschten Seitengang damit ad absurdum führen, sind leider das zahlenmäßig überwiegendere Bild. Und das alles, weil man es oft nicht besser weiß. Oder vielleicht auch das Interesse für das Detail fehlt. Wie ein Seitengang im Detail aufgebaut ist, welche Bewegungsvielfalt dafür notwendig ist und aus wie vielen motorischen Herausforderungen er besteht, das wissen die wenigsten. Das gerade dieser Umstand des Nichtwissens die Pferde zur Verzweiflung treiben kann, kann man mit ein wenig Phantasie nachvollziehen.
Ein weiteres Beispiel dafür ist die Biegung. Was ist notwendig um sich biegen zu können? Was hat Dehnung mit Biegen zu tun? Kräfteverteilung in der Bewegung, Schub- und Stützphasen und Hebelwirkung durch den Reiter - noch nie gehört. Schleudern am langen Seil auf der 6-Meter-Volte hat genausowenig mit Biegung zu tun wie zu glauben, dass das Pferd automatisch gebogen ist, nur weil man eine große Tour reitet. Wie Stabilität mit Mobilität Hand in Hand oder besser Huf in Huf gehen kann, damit sich ein Pferd wirklich sauber biegen kann (und das auch noch, wenn ein Fremdgewicht mitzutragen ist), ist ein großes Kapitel, das nicht in 5 Reitstunden abgehandelt werden kann.
Wenn du, lieber Leser, jetzt denkst "Das ist mir jetzt schon zu kompliziert!", dann verstehe ich das natürlich. Ich bin auch nicht bereit, mich für jedes Thema so detailreich zu interessieren. Wenn du jedoch Leistung von deinem Pferd erwartest, ohne dich dafür zu interessieren, wie es ihm dabei geht, dann solltest du vielleicht die Sportart oder Freizeitbeschäftigung wechseln. Beim Reiten sind es nämlich immer ZWEI, die ihre Leistung bringen müssen, damit ein großes Ganzes entstehen kann.
Nicht WAS sondern WIE Pferde das machen was sie machen interessiert mich. Losgelassenheit als Grundmauer und als Baustein und Bindeglied jeder neuen Herausforderung bringt den Reiter immer wieder auf den Boden der Tatsachen - nämlich zur Basis. Die Basis als Grundstock, als Manifest, auf die das Pferd immer zurückgreifen kann. Um loszulassen und auch um an der Basis immer besser zu werden. Um Ruhe zu finden und um bei sich zu bleiben. Wenn das Fundament immer tragfähiger wird, baut man leichter darauf auf.
Auch der Reiter versteht somit immer besser und kann sich leichter einfühlen in den simplen Umstand, dass ein losgelassener Schritt, geradegerichtet auf freier Linie, ein wenig schwieriger ist als gedacht. Er kann dann vielleicht auch besser verstehen, warum man sich nicht hängen lässt wie ein nasser Sack und auf alles vergisst, was man sich gerade sitztechnisch erarbeitet hat, wenn es heißt: "Pause. Zügel kurz hingeben." Die Pause ist für das Pferd, nicht für den Couchpotatoe oben drauf. Entspannen heißt auch nicht sämtliche Grundspannung aus dem Körper laufen zu lassen und dem Pferd ins Kreuz zu fallen.
Aber Vorsicht: sich im Detail zu verlieren und das Gesamtbild nicht mehr zu erkennen, kann sich sehr frustrierend auswirken. Vier Augen sehen immer mehr als zwei. Wenn du nicht weiter kommst, dann hole dir eine andere Perspektive. Der rote Faden im ganzen Tun (sämtlicher Umgang mit dem Pferd), Bewegungsziele, emotionale Ziele und das ständige Hinterfragen und Anpassen bringen dich weiter - auch wenn es vielleicht einen Umweg gebraucht hat.
Die Definition des gewählten Wortes ist oft zu hinterfragen. Man mag zwar glauben, vom selben Inhalt zu reden, man verwendet vielleicht sogar die selben Wörter. Man kann aber trotzdem etwas völlig anderes darunter verstehen. (M)Ein Pladoyer für gelebten Tierschutz in der Reiterei ist: je mehr man sich mit sich selbst auseinander setzt und versucht, sich in das, was das Pferd leisten soll körperlich und mental "einzuarbeiten", desto besser wird es dem Pferd dabei gehen. Einfühlungsvermögen, Wissen um Funktion und Technik und ein paar Grundkenntnisse in Physik (ja, im Reiten steckt eine Menge Physik) machen einen Reiter zum Trainingspartner anstatt zum Diktator.
Wer jetzt immer noch alles genau fühlen und wissen mag: herzlich Willkommen in meiner Welt :-) Und: jedes Pferd hat sein ganz spezielles Universum. Es bleibt also immer spannend und hoffentlich oft entspannend oder beschwingt, luftig, spielerisch, unbehindert, zart, anmutig, luftdurchlässig, sacht, sorgenlos, wohltuend, unbefangen, beruhigend, leicht. Auch das Verständnis liegt sehr oft im Detail.
Will man also beim Groben bleiben oder ist die Feinmotorik das Ziel? Entscheide dich, aber verlange nichts von deinem Pferd, dass du nicht zu geben bereit bist.
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