Biomechanik hin, Biomechanik her... Muskelaufbau von vorn bis hinten. Ist das alles? Wenn das so wäre, warum sind dann viele Pferde gerade muskulär fest, verspannt, entwickeln oft Kompensationsmuskulatur, sind für das Trainingsausmaß, das ihnen auferlegt wird, körperlich seltsam schlecht aufgestellt. Die Blockaden werden nie weniger, die Gangqualität ist oft steif, ruckartig oder flach. Sie werden als triebig beschrieben oder sie rennen "unterm Hintern" davon. Manchmal sind schon alle körperlichen Ursachen im Begriff, bearbeitet oder behoben zu sein. Und trotzdem wird das Pferd nie konstant. Warum ist das so?
Wenn dann noch die Hufbearbeitung hinterfragt, das Futter genauer geprüft und die Haltung optimiert wird und immer noch nicht alles gut ist, dann liegt die Ursache der Unkonstanz oft in der Gefühlswelt des Pferdes (die natürlich auch von allen Faktoren mitbeeinflusst wird).
Es wird enorm unterschätzt, welche Wichtigkeit das Begleiten in der Ausbildung eines Pferdes hat. Ich kann nicht oft genug betonen, dass gerade die Zeit der Grundausbildung eines Reitpferdes mit dem allgemeinen Verständnis von "Reiten" nicht viel gemeinsam hat. Hier liegt oft die Ursache für ein Übel, dass sich im schlechtesten Fall ein ganzes Reitpferdeleben lang nicht beheben lässt.
Mit "Begleiten" meine ich auch, eine seelische Stütze sein, merken wenn das Pferd sich unwohl oder gestresst fühlt und den Willen zu haben, dem Pferd beizustehen und ihm ein neues Gefühl zu geben - auch wenn sich daraus etwas ergibt, dass sich vielleicht eine Zeit lang nicht wie "Reiten" anfühlt. Sondern wie etwas, wo die Form eine untergeordnete Rolle spielt, wenn sie dem guten Gefühl hilft. Abwarten, hinhören, geschehen lassen hat in der Ausbildung von heute oft keinen Platz. Wenn Hilfen mit einem Diktat verwechselt werden, dann ist das Pferd ausgeliefert, fühlt sich unwohl und wird seinem Charakter entsprechend darauf reagieren.
Ein weicher Brustkorb, eine freie Atmung, weiche Bewegungen, Harmonie in Geist und Körper - wenn ein Pferd das erfühlen darf, dann ist es zu so manchem fähig. Wenn das Training dem Wohlgefühl dienlich ist, den Zustand des Pferdes zur Verbesserung auffordert, ohne über Limits zu arbeiten, dann wird plötzlich auch der Tierarzt weniger gebraucht. Der "Verschleiß" bleibt aus. Der Körper spiegelt den Geist.
Sätze wie "Ein Pferd hat erst gearbeitet, wenn es schweißnass ist!" oder "Der hat das schon immer so gemacht, bei dem ist das normal." oder "Unter einer Stunde wird nie geritten." sollten hinterfragt werden. Ob immer alles so viel Sinn macht, nur weil es andere im Stall für richtig halten?
Ich kann aus vielfacher eigener Erfahrung sagen: der Schlüssel ist oft das Gefühl, die Emotion die entsteht, ob man sie nun für passend hält oder nicht. Stress, Unwohlsein ist immer subjektiv und hat wohl oft Gründe, die nicht nachvollziehbar sind. Wie ich als Reiter oder Ausbilder damit umgehe, macht den Unterschied. Der Ursprung ist oft schon lange vergraben, die Langzeitfolgen aber sicht- und fühlbar. Dem Pferd ein Freund und Begleiter sein, das beginnt schon beim Führen, in der Vorbereitung und Nachbetreung jeder Arbeitseinheit. Beim Putzen und respektvollen Versorgen nach der Arbeit (viele Pferde haben oft Tage nach dem Reiten noch die verpickten Stellen auf der Sattellage), bei all den Kleinigkeiten im Alltag vermittle ich ein Gefühl. Und Respekt. Die Wertigkeit! Ob es mir das wert ist, diese 2 Minuten der Nachbetreuung zu investieren und nochmal zu hinterfragen und Revue passieren zu lassen, was in der gemeinsamen Zeit vorher passiert ist. Wie viel ist mir die gemeinsame Zeit wert, auch wenn sie nur kurz ist? Muss ich dann unbedingt neben dem Aufsatteln telefonieren, oder entgeht mir dabei vielleicht schon etwas, weil ich gar nicht bei der Sache bin? Was transportiere ich mit meinem Tun?
Beobachten ohne zu werten, Bewegungen anzuschauen, den Blick, die Mimik dazu zu betrachten, es lohnt sich! Aber bitte: mach keine "Blickschulung" daraus, bei der die Bewegung zerpflückt und negativiert wird, wenn das Pferd anwesend ist. Dafür gibt es Videos! Dieses negative Gefühl, wenn dich alle beobachten und dich schlecht reden, das kommt in dir auch hoch, wenn du ein Pferd bist - und es kann weitreichende Folgen haben. Negativer Stress hat viele Gesichter, schau einfach genauer hin.
Bewegungsharmonie und Stressbelastung sind in Beziehung miteinander. Ob der Geist oder der Körper in erster Linie den Stresspegel nach oben schnellen lässt, das muss heraus gefunden werden. Die Beiden beeinflussen sich jedoch immer gegenseitig.
Das Gefühlsleben des Pferdes ist wichtig für alle Dinge die es tut. Die Arbeit, das Training, das Miteinander kann seinen Teil dazu beitragen, das Pferd zu stabilisieren und größer zu machen. Im Kopf und im Körper. Es wird davon in jedem Fall profitieren und auch in seinem Alltag seine neu erworbenen persönlichen Kompetenzen einsetzen.
Wir brauchen mehr empathische Pferdemenschen! Gefühl und Wissen - für Pferde, die sie selbst bleiben oder erst werden dürfen.
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